Dienstag, 30. April 2013

"The Island" - Wohin führt der blaue Schlauch?

(Review R. Sutter)
Inhalt

Lincoln Six Echo (Ewan McGregor) lebt eingesperrt mit dem kümmerlichen Rest der Menschheit in einem utopischen, reinen Hightech-Wellness-Zentrum. Wie alle Einwohner seiner streng regulierten Umgebung hofft auch Lincoln, für "Die Insel" auserwählt zu werden - dem letzten Platz auf Erden, der nicht kontaminiert ist. Aber Lincoln plagen Alpträume. Er beginnt, seinen Platz in der Gesellschaft zu hinterfragen. Woher kommen die ständigen Überlebenden einer doch eigentlich toten Welt? Wer betreibt diesen riesigen Komplex, in dem sie alle leben? Warum sind seine Kleider immer weiß? Wer legt sie ihm jeden Morgen gebügelt in seine Schublade? Warum kriegt er zum Frühstück keinen Speck? Bald findet er heraus, dass alles um sein Leben herum eine Lüge zu sein scheint. Er und seine Mitbewohner sind in Wahrheit nur Klone, die einzig und allein als "Ersatzteillager" dienen. Als er feststellt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er ausgenommen wird, versucht er, mit der hübschen Jordan Two Delta (Scarlett Johansson) zu fliehen.

Kritik
Man würde meinen, die Klonthematik sei inzwischen zur Genüge als Aufhänger für neuere Science-Fiction-Streifen verwendet worden. Nach Arnold Schwarzeneggers "The Sixth Day", "Gattaca", "Star Trek Nemesis" oder indirekt auch in den letzten "Star Wars"-Filmen, versucht sich nun Actionfilmer Michael "Boom" Bay an diesem Stoff, nachdem der das Drehbuch direkt von einem gewissen Steven Spielberg erhalten und gleich innert einer Nacht verschlungen hat. Konnte Bay diesem inzwischen reichlich breitgetretenen Thema etwas Neues hinzufügen und einen tollen Film abliefern, der sein Kinoticket wert ist?

Michael Bay. Dieser Name steht für grandioses Actionkino ("The Rock", "Bad Boys"), aber vor allem für perfekt inszenierten, aber inhaltlich ziemlich dummen und unlogischen Schwachsinn wie "Armageddon" oder ärgerlichen, extrem kitschigen, pathetischen Quatsch wie "Pearl Harbour", deren extremer Amerikanismus für den Rest der Welt wohl nur lächerlich wirkt. Bay war noch nie das Lieblingskind der Kritiker. Zu inhaltsleer, zu banal, zu laut seien seine Werke. Doch Bay hat in seiner langen Karriere einen Blockbuster nach dem anderen gedreht und nun ausgerechnet mit "Die Insel" den rein finanziell gesehen größten Flop des Jahres inszeniert - am ehesten noch zu vergleichen mit dem miserablen Einspiel von "Catwoman". Die Kritiken waren im Vorfeld jedoch überraschend gut. Die Presse rund um den Globus ist sich größtenteils darin einig, dass "The Island" der beste Film von Michael Bay ist. Verkehrte Welt. Warum der Film gefloppt ist, wissen wohl nur die Filmgötter. Vielleicht, weil die Hauptfiguren keine Superkräfte besitzen oder im Streifen kein einziges Mal das Wort "fuck" fällt (hey, für einen Bay-Film eine richtige Sensation!).

Der Streifen orientiert sich lose an Genreproduktionen wie "Minority Report", "I, Robot" oder dem inzwischen etwas angestaubten "Omega-Man", kommt aber durch die Nähe zu unserer Zeit (der Film spielt etwa um 2020) viel realistischer und dadurch auch beängstigender und eindrücklicher rüber. Selbst das auf Hochglanz polierte, cleanische Zuhause von Lincoln Six Echo wirkt wie ein Statement auf unseren omnipräsenten Wellness-Wahn.

Was der neue Film von Bay aber von seinen bisherigen Werken unterscheidet, ist, dass sich der Regisseur diesmal wirklich Zeit lässt, die Figuren vorzustellen und (einen Tusch bitte!) die Story voranzutreiben. Sie beinhaltet sogar eine Moral, die nicht mit "Wir Amerikaner sind die Größten, die Coolsten, wir gewinnen immer, also legt euch nicht mit uns an" zusammenzufassen ist. Ob das vielleicht der Grund für einen Flop sein mag? Ein fieser Gedanke. Wie auch immer, wer nun eine zweistündige, dialoglastige Abhandlung über das Klonen erwartet, irrt sich natürlich gewaltig. Wenn sich Lincoln seine Freundin schnappt und sich auf die halsbrecherische Flucht begibt, kracht und knallt es überall. Der Soundpegel steigt genauso rapide an wie der Puls des Kinopublikums, und der Film lässt einem fast nicht mehr zu Atem kommen. Was Bay hier an aufregender Action inszeniert, stellt das Effektgewitter von "Star Wars - Episode III" locker in den Schatten und lässt George Lucas als dilettantischen Anfänger aussehen.

Apropos "Star Wars": Ewan McGregor macht hier eine wesentlich bessere Figur als im bekannten Sci-Fi-Epos. Nicht nur, dass Lincoln Six Echo sich als interessanterer Charakter als der Jedi-Ritter entpuppt, McGregor weiß auch als Schauspieler stärker zu überzeugen. Die kleinen Nuancen zwischen Klon und dessen Original versteht er meisterhaft auszuarbeiten. Wie nicht anders zu erwarten, fand man in der ebenso schönen wie talentierten Scarlett Johansson die ideale Filmpartnerin. "Star Trek"-Fans werden sich über die große Nebenrolle des sympathischen Darstellers Ethan Phillips ("Voyager") freuen, der als liebenswürdiger Klon Jones Three Echo zu überzeugen vermag. Den Part des Bösewichts übernahm Sean Bean ("Herr der Ringe"), der zwar souverän und routiniert spielt, jedoch aus der klischeebehafteten Rolle genauso wenig herauszuholen vermag wie Dijmon Hounsou aus der seinigen. Wesentlich mehr sticht da schon Steve Buscemi heraus. Schlicht deshalb, weil er für ein paar lustige Szenen sorgt. Humor ist in diesem Film ohnehin Trumpf. Vom einfachen Schmunzler bis zum totalen Brüller ist alles vertreten und sorgt nebst der sagenhaft stimmigen Action für zusätzliche Unterhaltung, die vor allem in den ruhigeren Passagen zur Geltung kommt.

Inszenatorisch ist der Film fast schon genial. Dadurch, dass Michael Bay die Spezialeffekte nur spärlich und nicht so überladen einsetzt wie beispielsweise Alex Proya in "I, Robot" wird die Illusion des Realen nicht zerstört. Das futuristische L.A. wirkt nicht wie aus "Captain Future", sondern eher wie das Echte, nur eben um einige fantastische, aber glaubwürdige Details reicher. Der Zug fährt nicht mehr auf Schienen, er schwebt, um nur ein weiteres Beispiel hervorzuheben. Nebenbei erwähnt erkennen Filmfans vielleicht die altehrwürdige Union Station, die bereits für die Holodeckszene in "Star Trek: Der erste Kontakt" herhalten musste.

Fazit

Durchgestylter, packender Actionkracher mit leichtem Anspruch, der es eigentlich nicht verdient hat, vom Kinopublikum so geschmäht zu werden. Der einzig wirkliche Nervfaktor ist das penetrante Product Placement, welches auch noch ziemlich unüberlegt eingesetzt wurde und viel zu aufdringlich ist. Michael Bay bleibt derweil dem Science-Fiction-Genre treu und bringt nächstes Jahr die Realverfilmung "Transformers" auf die Leinwand. Eine Story und starke Charaktere dürfte man dann wieder vergeblich suchen, aber jede Wette: Der Film wird ein Megahit. Schlussendlich kriegt das Publikum wohl einfach die Filme, die es verdient.






Produktion
Regie: Michael Bay
Drehbuch: Caspian Tredwell-Owen & Alex Kurtzman

Darsteller
Ewan McGregor (Lincoln Six Echo)
Scarlett Johansson (Jordan Two Delta)
Sean Bean (Merrick)
Ethan Phillips (Jones Three Echo)
Dijmon Hounsou (Albert Laurent)
Steve Buscemi (McCord)
Michael Clarke Duncan (Starkweather)

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